Archiv für den Monat: November 2014

DIE KANN DOCH AUCH MAL BALD STERBEN!

Bettina Maier*, 32 Jahre, Intensiv­kranken­schwester, 2 Kinder

Durch mei­ne Arbeit auf der Inten­siv­sta­ti­on habe ich eine sehr prag­ma­ti­sche Sicht auf den Tod:
Wenn es aus ist, ist es aus.
Zu Hau­se erzäh­le ich mei­ner Fami­lie natür­lich von mei­ner Arbeit – auch davon, dass eini­ge mei­ner Pati­en­ten ster­ben – ent­we­der weil sie ein­fach schon sehr alt oder unheil­bar krank sind. Natür­lich ver­scho­ne ich mei­ne Kin­der mit belas­ten­den Details, sie sind ja erst fünf und zwei Jah­re alt. Aber sie bekom­men trotz­dem eini­ges mit. Ich fin­de das auch gut so. Es ist mir wich­tig, dass mei­ne Kin­der erfah­ren, dass der Tod zum Leben und auch zu mei­ner Arbeit dazu­ge­hört. Dar­um ver­schwei­ge ich das nicht. Es käme mir falsch und ver­lo­gen vor. Mei­ne Kin­der kön­nen damit gut umge­hen. Ich fin­de sogar sie haben ein natür­li­che­res und nor­ma­le­res Ver­hält­nis zum Tod als vie­le Erwachsene.

Manch­mal kommt es dadurch aller­dings auch zu etwas pein­li­chen Situa­tio­nen: Neu­lich habe ich mei­ne Groß­tan­te im Pfle­ge­heim besucht und mein fünf­jäh­ri­ger Sohn war dabei. Er hat sich sehr genau im Zim­mer und im Heim der Tan­te umge­se­hen. Als wir nach dem Ver­ab­schie­den durch die Schie­be­tür gehen mein­te er nur ganz bei­läu­fig: „Mensch Mama, die Tan­te Lot­ti ist ja auch schon sooo alt. Die kann doch auch mal bald ster­ben.“
Ich bin froh, dass das kei­ner gehört hat.

*Name geän­dert

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WENN DER DAS KANN, KANN ICH DAS AUCH!

Waltraud Merath*, 52 Jahre, alleinstehend, selbständig im ambulanten Pflegedienst

Vor eini­gen Jah­ren betreu­te ich einen 27jährigen, der nach einem Zecken­biss mit anschlie­ßen­der Menin­gi­tis von der Brust­wir­bel­säu­le abwärts gelähmt war. Ledig­lich einen Arm konn­te er noch bewe­gen. Vor sei­ner Läh­mung war er ein selbst­stän­di­ger, fröh­li­cher Mann, ein Macher Typ, der allei­ne in der Stadt gewohnt hat­te. Sei­ne Freun­din hat­te lan­ge Zeit zu ihm gehal­ten, aber als aus der Part­ner­schaft eine Pfle­ge­be­zie­hung wur­de, hat­te sie sich dann doch von ihm getrennt.
Weil sei­ne Fami­lie nicht wuss­te, wohin mit ihm, wohn­te er jetzt bei sei­nen Groß­el­tern auf einem Bau­ern­hof mit­ten in der Pam­pa. Dort ging es ihm nicht gut, weil er sich mit sei­ner Groß­mutter nicht ver­stand, aber trotz­dem für Klei­nig­kei­ten auf sie ange­wie­sen war.
Da beschloss der jun­ge Mann zu sei­ner Schwes­ter nach Ham­burg zu zie­hen, in eine eige­ne Woh­nung in ihrer Nähe. Die­se Ent­schei­dung mei­nes Pati­en­ten hat mir sehr impo­niert.
Ich war damals gera­de sel­ber sehr unzu­frie­den mit mei­nem Leben auf dem Land und mei­nem Job mit der vie­len Fah­re­rei in die ent­le­gens­ten Dör­fer und Wei­ler. Als ich gese­hen habe, wie er sein Leben trotz und mit Läh­mung in die Hand nimmt, habe ich mich auch auf­ge­rafft und mein Leben ver­än­dert. Ich bin in eine grö­ße­re Stadt gezo­gen und habe mir dort eine neue Arbeit gesucht. Ich habe mir gedacht, „Wenn der das kann, kann ich das auch!“
Der Mann hat lei­der nur noch 2 Mona­te gelebt, weil er wegen sei­ner läh­mungs­be­ding­ten Atem­pro­ble­me erstickt ist. Das war zwar einer­seits dra­ma­tisch, beson­ders für die Schwes­ter. Aber ande­rer­seits hat er in die­ser Zeit noch­mal rich­tig was aus sei­nem Leben gemacht und es in vol­len Zügen genos­sen.
Ich den­ke noch oft an ihn, weil sein Vor­bild mir damals Mut gemacht hat, für mich zu sorgen.

*Name geän­dert

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