Grenzen annehmen fand ich mein ganzes Leben lang schwierig. Ich habe mich in meinem Berufsleben oft gefragt, ob mein Beruf das Richtige für mich ist. Meine musikalische Begabung hätte ich gerne ausgelebt. Nach einem schweren Unfall auf der Baustelle habe ich überlegt „Was hast Du bisher aus Deinem Leben und Deinen Begabungen gemacht? Hast Du das vergeudet?“
Da habe ich der Musik in meinem Leben mehr Raum gegeben. Erst in der Freizeit, dann habe ich probiert, sie zu meinem Beruf zu machen und mit Mitte 40 bei der Musikhochschule vorgesprochen: Der Professor hat mir gesagt, „Herr Ehrlich, dafür sind sie zu alt.“ Das hat mich getroffen. Aber er hatte ja Recht.
Vor 15 Jahren hatte ich dann einen Schlaganfall. Seitdem habe ich immer mehr gelernt, mit mir zu zufrieden zu sein. Heute empfinde ich mich als einen dankbaren und glücklichen Menschen.
Archiv für den Monat: Oktober 2014
BITTE BRING’ MICH ZU MEINEM FAHRRAD!
Sylvia Hartmann*, 39 Jahre, Physiotherapeutin
Seit acht Jahren lebe ich in einer festen Beziehung. Obwohl mein Freund und ich im Grunde ein offenes und sehr vertrauensvolles Verhältnis miteinander haben, merke ich seit einiger Zeit, dass es mir nicht ganz leicht fällt immer klar und deutlich zu sagen, was ich möchte und was ich nicht möchte. Auch im Bett.
Ich wundere mich über mich selber, dass mir das dermaßen schwer fällt. Schließlich bin ich sonst auch nicht auf den Mund gefallen. Aber zu diesem Thema traue ich mich irgendwie nicht so recht Klartext zu reden.
Das war nicht immer so:
Mit 15 habe ich für Erik geschwärmt. Er war schon 18. Schon an einigen Samstagabenden hatte ich in unserem Jugendtreff mit ihm geflirtet was das Zeug hielt – und hin und wieder auch mal mit ihm in einer dunkleren Ecke herumgeknutscht.
Eines Abends landeten wir zu späterer Stunde in seinem Zimmer. Bei Kerzenschein und Rotwein wurde die Knutscherei etwas wilder und auf einmal saß er mit heruntergelassener Hose und erigiertem Penis vor mir.
Ich hatte bis dato noch nie mit einem Mann geschlafen und schlagartig wurde mir klar, dass mir das hier und heute zu weit ging.
„Bitte bring‘ mich zu meinem Fahrrad!“, sagte ich.
Und genau das tat Erik. Er zog sich an und brachte mich mitten in der Nacht wieder zu meinem Fahrrad. Der romantische Abend war vorbei.
Zwischen uns kam es danach nie mehr zu irgendwelchen Annäherungen. Wir grinsten uns nur etwas verlegen an, wenn wir uns zufällig wieder einmal trafen.
Heute finde ich, dass dies eine großartige Erfahrung war.
Nicht nur ich habe in dieser Situation auf meine Grenzen geachtet und Klartext geredet. Auch Erik hat meine Grenze geachtet und akzeptiert, obwohl er sich den Abend bestimmt ganz anders vorgestellt hatte. Vielleicht ist es gar nicht so schwer auch mit 39 Jahren wieder einmal Klartext zu reden. Ich habe mir in jedem Fall vorgenommen diesbezüglich wieder etwas mutiger zu sein.
*Name geändert