GRENZEN ÜBERWINDEN

WENN DER DAS KANN, KANN ICH DAS AUCH!

Waltraud Merath*, 52 Jahre, alleinstehend, selbständig im ambulanten Pflegedienst

Vor eini­gen Jah­ren betreu­te ich einen 27jährigen, der nach einem Zecken­biss mit anschlie­ßen­der Menin­gi­tis von der Brust­wir­bel­säu­le abwärts gelähmt war. Ledig­lich einen Arm konn­te er noch bewe­gen. Vor sei­ner Läh­mung war er ein selbst­stän­di­ger, fröh­li­cher Mann, ein Macher Typ, der allei­ne in der Stadt gewohnt hat­te. Sei­ne Freun­din hat­te lan­ge Zeit zu ihm gehal­ten, aber als aus der Part­ner­schaft eine Pfle­ge­be­zie­hung wur­de, hat­te sie sich dann doch von ihm getrennt.
Weil sei­ne Fami­lie nicht wuss­te, wohin mit ihm, wohn­te er jetzt bei sei­nen Groß­el­tern auf einem Bau­ern­hof mit­ten in der Pam­pa. Dort ging es ihm nicht gut, weil er sich mit sei­ner Groß­mutter nicht ver­stand, aber trotz­dem für Klei­nig­kei­ten auf sie ange­wie­sen war.
Da beschloss der jun­ge Mann zu sei­ner Schwes­ter nach Ham­burg zu zie­hen, in eine eige­ne Woh­nung in ihrer Nähe. Die­se Ent­schei­dung mei­nes Pati­en­ten hat mir sehr impo­niert.
Ich war damals gera­de sel­ber sehr unzu­frie­den mit mei­nem Leben auf dem Land und mei­nem Job mit der vie­len Fah­re­rei in die ent­le­gens­ten Dör­fer und Wei­ler. Als ich gese­hen habe, wie er sein Leben trotz und mit Läh­mung in die Hand nimmt, habe ich mich auch auf­ge­rafft und mein Leben ver­än­dert. Ich bin in eine grö­ße­re Stadt gezo­gen und habe mir dort eine neue Arbeit gesucht. Ich habe mir gedacht, „Wenn der das kann, kann ich das auch!“
Der Mann hat lei­der nur noch 2 Mona­te gelebt, weil er wegen sei­ner läh­mungs­be­ding­ten Atem­pro­ble­me erstickt ist. Das war zwar einer­seits dra­ma­tisch, beson­ders für die Schwes­ter. Aber ande­rer­seits hat er in die­ser Zeit noch­mal rich­tig was aus sei­nem Leben gemacht und es in vol­len Zügen genos­sen.
Ich den­ke noch oft an ihn, weil sein Vor­bild mir damals Mut gemacht hat, für mich zu sorgen.

*Name geän­dert

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