Vor einigen Jahren betreute ich einen 27jährigen, der nach einem Zeckenbiss mit anschließender Meningitis von der Brustwirbelsäule abwärts gelähmt war. Lediglich einen Arm konnte er noch bewegen. Vor seiner Lähmung war er ein selbstständiger, fröhlicher Mann, ein Macher Typ, der alleine in der Stadt gewohnt hatte. Seine Freundin hatte lange Zeit zu ihm gehalten, aber als aus der Partnerschaft eine Pflegebeziehung wurde, hatte sie sich dann doch von ihm getrennt.
Weil seine Familie nicht wusste, wohin mit ihm, wohnte er jetzt bei seinen Großeltern auf einem Bauernhof mitten in der Pampa. Dort ging es ihm nicht gut, weil er sich mit seiner Großmutter nicht verstand, aber trotzdem für Kleinigkeiten auf sie angewiesen war.
Da beschloss der junge Mann zu seiner Schwester nach Hamburg zu ziehen, in eine eigene Wohnung in ihrer Nähe. Diese Entscheidung meines Patienten hat mir sehr imponiert.
Ich war damals gerade selber sehr unzufrieden mit meinem Leben auf dem Land und meinem Job mit der vielen Fahrerei in die entlegensten Dörfer und Weiler. Als ich gesehen habe, wie er sein Leben trotz und mit Lähmung in die Hand nimmt, habe ich mich auch aufgerafft und mein Leben verändert. Ich bin in eine größere Stadt gezogen und habe mir dort eine neue Arbeit gesucht. Ich habe mir gedacht, „Wenn der das kann, kann ich das auch!“
Der Mann hat leider nur noch 2 Monate gelebt, weil er wegen seiner lähmungsbedingten Atemprobleme erstickt ist. Das war zwar einerseits dramatisch, besonders für die Schwester. Aber andererseits hat er in dieser Zeit nochmal richtig was aus seinem Leben gemacht und es in vollen Zügen genossen.
Ich denke noch oft an ihn, weil sein Vorbild mir damals Mut gemacht hat, für mich zu sorgen.
*Name geändert