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IN JUN­GEN JAH­REN HABE ICH ÖFTER GREN­ZEN ÜBERSCHRITTEN

Peter Schneider*, 39 Jahre, 3 Kinder, angestellt

Mit Anfang 20 bin ich durch Süd­ame­ri­ka gereist. Wäh­rend einer 20-stün­di­gen Bus­fahrt saß ich neben einer jun­gen Frau. Wir haben wäh­rend der gan­zen Fahrt nicht mit­ein­an­der gespro­chen, ich kann­te ihren Namen nicht und doch fühl­te ich mich mit ihr auf beson­de­re Wei­se ver­bun­den.
Kurz bevor sie aus­stieg, frag­te ich sie, ob ich sie küs­sen darf. Sie hat „Ja“ gesagt. Wir haben uns geküsst, sie ist aus­ge­stie­gen und ich bin wei­ter­ge­fah­ren. Ein ein­ma­li­ges inten­si­ves Erleb­nis. 
Wenn ich an den Kuss den­ke, kann ich mich an ein Lebens­ge­fühl von damals erin­nern: 
Ich war sorg­los, über­mü­tig, zuver­sicht­lich und frei. Nicht immer, aber doch sehr oft. Es war so ein Gefühl von „Was kos­tet die Welt?“ oder „Jeder Tag ein Aben­teu­er!“ 
Bei der Erin­ne­rung an die­se Zeit füh­le ich mich wie­der sehr leben­dig.
Durch mei­nen Beruf tref­fe ich vie­le Men­schen, die sich nach dem frei­en Gefühl ihrer Jugend seh­nen und sich heu­te manch­mal inner­halb ihrer eige­nen Gren­zen erstarrt füh­len. Das gilt auch für die Gren­zen, die der Ein­zel­ne durch fes­te und dau­er­haf­te Bezie­hun­gen spürt, ob ver­hei­ra­tet oder nicht. Auch in Freun­des­krei­sen gibt es das.
In jun­gen Jah­ren über­schrei­ten Men­schen öfter Gren­zen – aus Neu­gier, Leicht­sinn, Lebens­freu­de und oft aus einem spon­ta­nen Erle­ben her­aus.
Irgend­wann ein­mal ändert sich etwas. Dann blei­ben wir mehr in unse­ren Gren­zen, pas­sen sie an – an die Gren­zen von Vor­ge­setz­ten, Part­nern, Fami­lie und Men­schen in unse­rem Umfeld.
Wir rich­ten uns unser Leben inner­halb die­ser Gren­zen ein und für eine gewis­se Zeit ist alles gut.
Doch irgend­wann blitzt die Erin­ne­rung an frü­he­re Erfah­run­gen und Grenz­über­schrei­tun­gen wie­der auf. Eine Sehn­sucht Gren­zen zu über­tre­ten. End­lich wie­der mal. Noch ein­mal. Wir begin­nen, uns danach zu seh­nen Gren­zen nie­der­zu­rei­ßen oder, wenn das nicht geht oder zu radi­kal ist, sie zumin­dest zu über­tre­ten. Und es geht vor allem um das Gefühl der Leben­dig­keit, das wir dabei wie­der spü­ren wol­len. 
Oft genug tun Men­schen das auch. Und erle­ben dabei doch nicht mehr das Gefühl, dass sie suchen oder ver­mis­sen – denn zwi­schen den Erfah­run­gen lie­gen Jah­re, manch­mal Jahr­zehn­te. Eine Zeit, in der in fes­ten Bezie­hun­gen Lie­be, Ver­trau­en und Loya­li­tät gewach­sen ist.

Sol­len wir es dann doch lie­ber las­sen und uns für immer in unse­ren Gren­zen arran­gie­ren?
Sicher nicht. Wir dür­fen immer wie­der nach­spü­ren, wel­che Gren­zen uns gut tun und wel­che nicht. Nur über eins soll­ten wir uns klar sein: Das Über­schrei­ten von Gren­zen „aus purer Lebens­freu­de“, das uns als Lebens­ge­fühl frü­her begeis­tert und beflü­gelt hat, lässt sich Jah­re spä­ter nicht ein­fach so wie­der­ho­len. Ein spon­ta­ner Kuss im Bus hät­te heu­te viel­leicht Fol­gen, die wir in letz­ter Kon­se­quenz gar nicht möch­ten. Leben­dig füh­len kön­nen wir uns auch so.

*Name geän­dert

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WENN ICH MEI­NE GREN­ZEN SPÜ­RE, BIN ICH KLAR

Patrizia Eckstein*, 50 Jahre, verheiratet, berufstätig

Neu­lich hat ein guter Freund von mir in einem Gespräch mei­ne Gren­zen über­schrit­ten.
Mein Freund hat in her­ab­las­sen­der und unan­ge­mes­se­ner Wei­se über die beruf­li­chen Kom­pe­ten­zen mei­nes Man­nes gespro­chen – nega­tiv und nicht wert­schät­zend.
Ich habe in der Situa­ti­on selbst nicht reagiert, denn ich habe erst im Nach­hin­ein so rich­tig gespürt, dass das für mich über­haupt nicht in Ord­nung war. Im Grun­de hät­te ich auf­ste­hen und ein­fach gehen sol­len.
Ich spü­re mei­ne Gren­zen – aber oft zu spät.
Manch­mal auch erst, wenn ich eine Nacht über etwas geschla­fen habe. Und ich spü­re sie zuerst oft kör­per­lich durch eine gewis­se Unru­he und einen Druck im Brust­be­reich. Etwas nimmt mir mei­ne Luft, ich kann nicht mehr atmen. Wenn ich dann erken­ne, was los ist und was nicht passt, kann ich auch wie­der atmen.
Ich mer­ke, es gibt Men­schen, die man­ches viel schnel­ler mit­krie­gen: Was nicht sein darf, was respekt­los ist und was zu viel ist. Eigent­lich ist es scha­de die­se Gren­zen nicht gleich zu spü­ren, weil ich dann nicht so gut für mich ein­tre­ten kann.
Weil ich mich schon län­ger mit die­sem The­ma beschäf­ti­ge, geht es jetzt schon schnel­ler, aber es ist noch lan­ge nicht spon­tan. Es ist ein biss­chen so, als ob ich erst das dicke Fell um mich her­um abtra­gen muss. Ich bin auf dem Weg.

Daher ist das Spü­ren mei­ner Gren­zen der­zeit für mich wich­ti­ger als das Set­zen von Gren­zen. Das kommt dann als Nächs­tes. Wenn ich mei­ne Gren­zen spü­re, bin ich klar.

*Name geän­dert

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