Schlagwort-Archive: Grenzen annehmen

DAS WAR HALT SO.”

Gudrun Waltenberger*, 78 Jahre, Schneiderin, 3 Kinder, 4 Enkelkinder

Ich bin Jahr­gang 1937, mein Vater ist im Krieg gefal­len, mei­ne Mut­ter war Kriegs­wit­we. Vor ihrer Lebens­leis­tung habe ich gro­ßen Respekt. Sie gehört zur „Ver­ges­se­nen Gene­ra­ti­on“.
Die „Ver­ges­se­ne Gene­ra­ti­on“ hat zwei Krie­ge mit­ge­macht und ein Leben geführt, dass wir uns heu­te gar nicht mehr vor­stel­len kön­nen. Heu­te ist es schon fast selbst­ver­ständ­lich, dass Kriegs­op­fer psy­cho­lo­gi­sche Hil­fe bekom­men, um ihre trau­ma­ti­schen Erleb­nis­se zu bewäl­ti­gen.
Damals hat die­se Men­schen nie­mand gefragt, wie es ihnen denn geht – nach Ver­trei­bung oder Flucht aus der Hei­mat, Bom­ben­näch­ten oder dem Tod von Fami­li­en­mit­glie­dern. Es war eine ande­re Zeit.
Mei­ne Mut­ter und ich haben nach dem Krieg in der Münch­ner Innen­stadt in einer Zwei­ein­halb­zim­mer-Woh­nung mit 60m² gewohnt. Weil ja vie­le Woh­nun­gen aus­ge­bombt waren, muss­ten wir zwei der zwei­ein­halb Zim­mer an zwei wei­te­re Ehe­paa­re „zwangs­un­ter­ver­mie­ten“. Ich habe als Kind in der Küche auf dem Boden geschla­fen und jeden Mor­gen mei­ne Schlafrol­le zusam­men­ge­packt. Das war halt so.
Wir hat­ten oft Hun­ger. Lebens­mit­tel gab es nur auf Kar­te. Als mei­ne Mut­ter gestor­ben war, habe ich noch alte Lebens­mit­tel­kar­ten in ihren Unter­la­gen gefun­den. Sie hat sie als Erin­ne­rung an schlech­te Zei­ten behal­ten und viel­leicht auch befürch­tet, dass sie sie noch mal brau­chen könn­te…
Weil ich Not und Hun­ger erlebt habe, genie­ße ich mei­nen Wohl­stand heu­te sehr und bin dank­bar, dass es heu­te so ist wie es ist.

*Name geän­dert

Kommentar hinterlassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.

HEU­TE WEISS ICH MEI­NE HER­KUNFT ZU SCHÄTZEN.

Agnes Streber, Dipl. Oecotrophologin, Systemische Familientherapeutin, Vorstand von KinderLeicht e.V.

Ich bin auf einem Bau­ern­hof groß­ge­wor­den, habe als ein­zi­ges von fünf Kin­dern stu­diert und die bäu­er­li­che Welt mei­ner Kind­heit verlassen. 
Das Leben bis zu mei­nem fünf­zehn­ten Lebens­jahr habe ich als sehr rhyth­mi­siert und begrenzt erlebt. Die Arbeit und der Hof stan­den immer im Vor­der­grund. Alle vier Jah­re sind wir zur Land­wirt­schafts­aus­stel­lung nach Mün­chen gefah­ren – das war unser Mün­chen-Aus­flug. Kein Muse­um, kei­ne Rei­sen und wenig Hob­bys. Ich hät­te ger­ne Kla­vier gespielt, aber das wur­de nicht gefördert. 
Mit mei­ner Aus­bil­dung zur Köchin habe ich die­se Welt ver­las­sen, habe Aus­zeich­nun­gen erlangt, bin auf Wan­der­schaft gegan­gen und habe in gro­ßen Häu­sern gear­bei­tet. Schließ­lich habe ich mein Abitur nach­ge­macht, Ernäh­rungs­wis­sen­schaf­ten stu­diert und eine Aus­bil­dung zur sys­te­mi­schen Fami­li­en­the­ra­peu­tin gemacht. Seit 15 Jah­ren bin ich selbständig. 
In mei­ner Fami­lie bin ich ein Exot. Ihre Welt und Auf­fas­sung vom Leben konn­te ich lan­ge nicht nach­voll­zie­hen und auch nicht so recht wert­schät­zen. Ich habe die­se Welt verurteilt.

Heu­te weiß ich, dass mei­ne bäu­er­li­che Her­kunft und Prä­gung zu mir gehö­ren und Teil mei­ner Per­sön­lich­keit sind – und mir in der Ver­gan­gen­heit auch vie­le gute Diens­te geleis­tet haben. 
Ich habe ein gutes Gespür für mich, ich kann für mich und ande­re sor­gen, ich arbei­te ger­ne und ich habe einen gesun­den Prag­ma­tis­mus. Schon immer. 
Dazu ein Bei­spiel: Mit sieb­zehn Jah­ren hat­te ich mei­ne Aus­bil­dung zur Köchin als Deut­sche Meis­te­rin abge­schlos­sen und mich bei einem renom­mier­ten und bekann­ten Koch bewor­ben. Er emp­fing er mich mit Cham­pa­gner und Kavi­ar und gab mir sei­ne Zusa­ge. Als ich am Ende des Gesprä­ches frag­te, wie es denn mit der Bezah­lung aus­sä­he, mein­te er nur „Nein. Eine Frau bezah­le ich nicht. Es ist eine Ehre, dass Sie für mich arbei­ten dürfen!“ 
Natür­lich war ich von sei­nem Erfolg und sei­ner Per­sön­lich­keit beein­druckt, aber es gab schon damals die­sen ganz prag­ma­ti­schen Teil vor mir, der wuss­te, man muss leben, Essen und Mie­te bezahl­ten. Auf so etwas habe ich mich nicht ein­ge­las­sen. Den Wert von Arbeit weiß ich zu schät­zen. Und mei­ne Her­kunft inzwi­schen auch.

Kommentar hinterlassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.