Archiv für den Monat: August 2014

WENN ICH MEI­NE GREN­ZEN SPÜ­RE, BIN ICH KLAR

Patrizia Eckstein*, 50 Jahre, verheiratet, berufstätig

Neu­lich hat ein guter Freund von mir in einem Gespräch mei­ne Gren­zen über­schrit­ten.
Mein Freund hat in her­ab­las­sen­der und unan­ge­mes­se­ner Wei­se über die beruf­li­chen Kom­pe­ten­zen mei­nes Man­nes gespro­chen – nega­tiv und nicht wert­schät­zend.
Ich habe in der Situa­ti­on selbst nicht reagiert, denn ich habe erst im Nach­hin­ein so rich­tig gespürt, dass das für mich über­haupt nicht in Ord­nung war. Im Grun­de hät­te ich auf­ste­hen und ein­fach gehen sol­len.
Ich spü­re mei­ne Gren­zen – aber oft zu spät.
Manch­mal auch erst, wenn ich eine Nacht über etwas geschla­fen habe. Und ich spü­re sie zuerst oft kör­per­lich durch eine gewis­se Unru­he und einen Druck im Brust­be­reich. Etwas nimmt mir mei­ne Luft, ich kann nicht mehr atmen. Wenn ich dann erken­ne, was los ist und was nicht passt, kann ich auch wie­der atmen.
Ich mer­ke, es gibt Men­schen, die man­ches viel schnel­ler mit­krie­gen: Was nicht sein darf, was respekt­los ist und was zu viel ist. Eigent­lich ist es scha­de die­se Gren­zen nicht gleich zu spü­ren, weil ich dann nicht so gut für mich ein­tre­ten kann.
Weil ich mich schon län­ger mit die­sem The­ma beschäf­ti­ge, geht es jetzt schon schnel­ler, aber es ist noch lan­ge nicht spon­tan. Es ist ein biss­chen so, als ob ich erst das dicke Fell um mich her­um abtra­gen muss. Ich bin auf dem Weg.

Daher ist das Spü­ren mei­ner Gren­zen der­zeit für mich wich­ti­ger als das Set­zen von Gren­zen. Das kommt dann als Nächs­tes. Wenn ich mei­ne Gren­zen spü­re, bin ich klar.

*Name geän­dert

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IHR SEID WILLKOMMEN!

Dr. med. Susanne Hofbauer*, 49 Jahre, verheiratet, zwei Kinder, Anästhesistin, Intensiv- und Palliativmedizinerin

Auf der Inten­siv­sta­ti­on sehe ich sehr oft Ange­hö­ri­ge, die sich in Aus­nah­me­si­tua­tio­nen befin­den und schlech­te und schwe­re Nach­rich­ten hören müs­sen.
Die Räum­lich­kei­ten, in denen wir mit den Men­schen spre­chen, sind sehr nüch­tern und sach­lich. Trotz­dem ver­su­che ich bei jedem Gespräch zu signa­li­sie­ren: “Ihr seid Will­kom­men mit allen Fra­gen, Sor­gen und eige­nen Ängs­ten!”
Ich spre­che an, dass das jetzt eine schwe­re Situa­ti­on ist, bie­te Kaf­fee oder Geträn­ke an – ein­fach nur, um neben der medi­zi­ni­schen Basis eine mensch­li­che Basis zu schaf­fen. Die wenigs­ten wol­len das in so einer Situa­ti­on – aber es tut ihnen gut.
Ich ver­su­che den Men­schen Raum zu geben und sie wirk­lich da abzu­ho­len, wo sie gera­de ste­hen. Und ich spre­che an, dass Wei­nen, Schrei­en und Schimp­fen in so einer Situa­ti­on nor­ma­le und ver­ständ­li­che Reak­tio­nen sind. Hin und wie­der neh­me ich auch mal jeman­den in den Arm, auch wenn ich weiß, dass nicht alle mei­ner Kol­le­gen das ver­ste­hen und gut fin­den.
Eine frü­he­re Ober­ärz­tin von mir ist mir ein Vor­bild: Sie hat­te ein gro­ßes, kom­mu­ni­ka­ti­ves Talent, viel Erfah­rung und sie war ein wirk­lich warm­her­zi­ger und Mensch – gera­de in schwie­ri­gen und schwe­ren Gesprächen.

 *Name geän­dert

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