Schlagwort-Archive: Wohlstand

WIR SIND FREI.”

Rahel Benedikt*, 41 Jahre, Physiotherapeutin, 1 Kind

Ich lebe allein mit mei­ner zwölf­jäh­ri­gen Toch­ter seit sie zwei Jah­re alt ist. Das ist nicht die Lebens­form, die ich mir ursprüng­lich gewünscht habe, aber inzwi­schen habe ich mich damit gut arran­giert. Es geht uns gut mit­ein­an­der und mei­ne Toch­ter sieht ihren Vater regel­mä­ßig. Ich arbei­te halb­tags als Phy­sio­the­ra­peu­tin in einer Pra­xis. Ich mag mei­nen Beruf.
Nach vie­len Jah­ren mit 20 Stun­den in der Woche habe ich jetzt auf 25 Stun­den auf­ge­stockt. Ich könn­te noch mehr arbei­ten, aber ich möch­te das nicht. So habe ich Zeit für mich und mei­ne Toch­ter. Nicht jeder ver­steht das.
Vor kur­zem wur­de ich ange­spro­chen, ob ich nicht für ein gro­ßes Unter­neh­men vor Ort eine Rücken­schu­le für Erwach­se­ne anbie­ten könn­te. Vie­le mei­ner Freun­de haben mir zuge­re­det und mir zu die­ser tol­len Chan­ce gra­tu­liert, aber ich habe das Ange­bot abge­lehnt. Mir reicht mei­ne der­zei­ti­ge Arbeit gera­de aus. Das wird mir sonst zu viel.
Ich ver­zich­te natür­lich auf eine Chan­ce mehr Geld zu ver­die­nen und mir ein wei­te­res Stand­bein auf­zu­bau­en. Aber ich bin zufrie­den so wie es der­zeit ist. Ich mag es ruhig.
Wir woh­nen in einer schö­nen Woh­nung mit Gar­ten zur Mie­te und ich fin­de, wir leben gut. Wir kau­fen gute Lebens­mit­tel, fah­ren auch hin und wie­der in den Urlaub – aber so, wie es unse­rem Lebens­stan­dard und unse­rer Art ent­spricht. Ein­fach und gut.
Vie­le Freun­de von mir haben eige­ne Häu­ser. Für mich kann ich mir das nicht vor­stel­len. Der Gedan­ke an ein eige­nes Haus ist für mich erdrü­ckend. Für mich wäre so ein gro­ßer Besitz eine zu gro­ße Ver­ant­wor­tung und Belas­tung.
Wir sind ein Stück weit frei. Von Besitz aber auch von Ansprü­chen. Wir haben Zeit.

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DAS WAR HALT SO.”

Gudrun Waltenberger*, 78 Jahre, Schneiderin, 3 Kinder, 4 Enkelkinder

Ich bin Jahr­gang 1937, mein Vater ist im Krieg gefal­len, mei­ne Mut­ter war Kriegs­wit­we. Vor ihrer Lebens­leis­tung habe ich gro­ßen Respekt. Sie gehört zur „Ver­ges­se­nen Gene­ra­ti­on“.
Die „Ver­ges­se­ne Gene­ra­ti­on“ hat zwei Krie­ge mit­ge­macht und ein Leben geführt, dass wir uns heu­te gar nicht mehr vor­stel­len kön­nen. Heu­te ist es schon fast selbst­ver­ständ­lich, dass Kriegs­op­fer psy­cho­lo­gi­sche Hil­fe bekom­men, um ihre trau­ma­ti­schen Erleb­nis­se zu bewäl­ti­gen.
Damals hat die­se Men­schen nie­mand gefragt, wie es ihnen denn geht – nach Ver­trei­bung oder Flucht aus der Hei­mat, Bom­ben­näch­ten oder dem Tod von Fami­li­en­mit­glie­dern. Es war eine ande­re Zeit.
Mei­ne Mut­ter und ich haben nach dem Krieg in der Münch­ner Innen­stadt in einer Zwei­ein­halb­zim­mer-Woh­nung mit 60m² gewohnt. Weil ja vie­le Woh­nun­gen aus­ge­bombt waren, muss­ten wir zwei der zwei­ein­halb Zim­mer an zwei wei­te­re Ehe­paa­re „zwangs­un­ter­ver­mie­ten“. Ich habe als Kind in der Küche auf dem Boden geschla­fen und jeden Mor­gen mei­ne Schlafrol­le zusam­men­ge­packt. Das war halt so.
Wir hat­ten oft Hun­ger. Lebens­mit­tel gab es nur auf Kar­te. Als mei­ne Mut­ter gestor­ben war, habe ich noch alte Lebens­mit­tel­kar­ten in ihren Unter­la­gen gefun­den. Sie hat sie als Erin­ne­rung an schlech­te Zei­ten behal­ten und viel­leicht auch befürch­tet, dass sie sie noch mal brau­chen könn­te…
Weil ich Not und Hun­ger erlebt habe, genie­ße ich mei­nen Wohl­stand heu­te sehr und bin dank­bar, dass es heu­te so ist wie es ist.

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